An diesem Wochenende stand mal wieder ein Renn-Quickie an. Das heißt Freitagmorgen 3:30 Uhr aufstehen und circa 700 km Auto fahren, Samstag morgen um 5:00 Uhr aufstehen und ein Mountainbike-Rennen erledigen (Langstrecke versteht sich, denn sonst lohnt ja auch die weite Fahrt nicht) und am Sonntag dann wieder um 3:30 Uhr raus aus den Federn und 700 km retour mit dem Auto. Wenn mich jemand fragt, weiß ICH zumindest immer ganz genau woher jede Falte in meinem Gesicht kommt!
Wie schon gesagt, geht es Freitagmorgen um 4:00 Uhr für mich los nach Klatovy in Tschechien, ganz in der Nähe von Prag. Das Rennen gehört zur Marathon Man Europe Serie und ist der zweite Lauf nach dem Rennen in Riva. Diese Serie möchte ich dieses Jahr gerne wieder gewinnen, zuletzt gelang mir das 2013, aber insbesondere die tschechische Konkurrenz ist sehr stark. Also sagen wir mal ich möchte am Ende der Serie zumindest auf dem Treppchen stehen,von daher ist es in Klatovy ein wichtiges Rennen für mich und momentan führe ich die Serie an.
Der Veranstalter kündigt das Rennen wie folgt an:
Endlose Wälder und nahezu unberührte Natur, soweit das Auge reicht: Der Nationalpark Sumava ist zusammen mit dem Bayerischen Wald nicht nur das größte zusammenhängende Waldgebiet Europas, sondern auch Schauplatz eines der ältesten Mountainbike-Marathons auf dem Kontinent. Der Author Král Šumavy (König des Böhmerwaldes) findet bereits zum 22. Mal statt, genießt Kultstatus in Tschechien und lockt jedes Jahr 2500 Mountainbiker auf die drei Distanzen über 100, 70 und 45 Kilometer.
Auch 2015 startet man auf dem malerischen Marktplatz der denkmalgeschützten Altstadt von Klatovy, von da aus geht es auf die traumhaften Böhmerwald-Trails. Eine abwechslungsreiche Strecke, reichlich bestückte Verpflegungsstellen, zahlreiche Zuschauer und attraktives Rahmenprogramm sorgen für ein faszinierendes Marathonerlebnis. Fast schon legendär ist das Gulasch mit Bier für alle Teilnehmer im Ziel, und am Abend heizen drei Bands bei einem ein Open-Air-Konzert ein – Bikerherz, was willst du mehr?
Die Fahrt dorthin ist reibungslos und ich bin schon um 10:00 Uhr im Hotel. Die erste große Hürde, nämlich das Bike mit aufs Hotelzimmer zu schmuggeln, ist genommen und es steht dem Nachholen von Schlaf nichts mehr im Wege. Danach mache ich mich auf dem Weg zur Anmeldung,drehe aber vorher noch eine Runde in die Stadt, wo mir ein paar Flip Flops in die Hände fallen. Im Zimmer hatte ich noch mit der Nagelschere ein bißchen die Nackenhaare geschnitten und die Fußnägel lackiert – von daher ist meine Vorbereitung absolut perfekt!
Nach erfolgter Anmeldung fahre ich mich noch fürs Rennen ein und gerate in einen Schauer. Naja egal, für morgen ist Kaiserwetter angesagt! Im Hotel gibt es noch eine kleine Diskussion um die Frühstückszeit. Der Start ist um 7:30 Uhr, das Frühstück gibt es aber erst ab 7:00 Uhr. Das ist natürlich zu spät. Man bietet an, um 6:00 Uhr ein Frühstück als Breakfast-Tüte bereitzustellen. Diese hole ich mir pünktlich um 6:00 Uhr, meine Sinne werden jedoch irritiert von einer Stiege voller frisch gebackener Brötchen und Croissants. Ich frage an der Rezeption ob ich mir davon eins nehmen kann? Nein erwidert die Rezeptionistin, ich hätte mich ja schließlich für die Tüte mit dem Frühstück entschieden. Diese beinhaltet Kümmelbrot, Aufschnitt und eine kleine Dose Marmelade. Todesverachtend frühstücke ich Kümmelbrot mit Aprikosen-Apfel-Marmelade und schreibe gedanklich übelste Verrisse in Hotelbewertungs-Internetseiten. Als ich um 6:30 Uhr das Hotel verlasse wedelt die Rezeptionistin mit einem Croissant hinter mir her, das könnte ich jetzt doch haben. Na vielen Dank, ich hab jetzt schon gefrühstückt.
Am Start treffe ich auf meinen Lieblingsfreund Thomas, der extra aus Thüringen angereist kam, um mich spontan am Start zu begrüßen. Ich verpflichte ihn ad-hoc, mich beim Rennen zu betreuen, wobei wir beide aber noch nicht wissen, ob das klappen wird, so ganz ohne Ortskenntnisse.
Wie ich es schon vom Malevil-Cup in Tschechien kennen, läuft der Start anders ab als „zu Hause“. Hier gibt es kein „5 minutes to the start“ usw., hier knallt irgendwann unvermittelt einfach ein Schuss, alles zuckt einmal und setzt sich in Bewegung. Beim Start fährt man am besten die Ellbogen weit aus, wenn man nicht schon auf den ersten Metern zu Boden gehen möchte. Es wird gerangelt was das Zeug hält und ich habe das Gefühl, dass das Mountainbiken irgendwie hier erfunden worden sein muss.
Zunächst rollt es prima, die Strecke ist trocken und es ist warm. Ich befinde mich nach eigener Kalkulation an vierter Stelle (was sich jedoch als Trugschluss beweist, da ich eigentlich dritte bin), was mich nur mäßig begeistert, aber da ich meist in der zweiten Rennenhälfte noch mal richtig auftaue, mache ich mir zunächst nichts draus. Wie schon richtig vermutet schließe ich schon nach kurzer Zeit bei circa Kilometer 20 zu Frau Nummer 3 auf Jana Skrbková auf, die eigentlich Frau Nummer zwei ist. Kurz ausruhen und dann Schubrakete vorbei und das sollte es dann mit dem dritten beziehungsweise zweiten Platz gewesen sein, dachte ich… Aber da habe ich die Rechnung ohne Frau Skrbková gemacht. Schon nach kurzer Zeit überholt sie mich derart schubraketenmäßig, dass sie mir eigentlich nach 5 Minuten circa 2 km abgenommen haben müsste, pendelt sich jedoch 50 m vor mir wieder ein. Ich ruhe mich kurz aus und überhole sie dann im gleichen Modus. Dieses Spielchen spielen wir eine ganze Weile, bis ich keine Lust mehr habe. Da es mittlerweile sehr windig geworden ist und sie offenbar gerne vorfahren möchte lasse ich ihr den Vortritt, halte sie aber auf Sicht.
Dieses Rennen ist irgendwie total komisch. Mein Puls will nicht so richtig hoch, seit kurzem habe ich ja auch einen Wattmesser und spinxe aus Verzweiflung immer mal darauf, aber bei diesem komischen Gelände sagen mir die Zahlen überhaupt nichts. Die Uhr macht mich total bekloppt! Normalerweise bin ich ja gar nicht so datenhörig aber heute schon.
Weiß eigentlich jemand wie viel Gedanken einem bei einem Rennen durch den Kopf schießen? Eine Enzyklopädie füllt man damit locker! Wieviel man innerlich fluchen kann? Ich frage mich zunehmend mehr, wer auf die Scheißidee kam hier die lange Strecke zu fahren. Bei Kilometer 60 denke ich, es könnte jetzt eigentlich auch gut vorbei sein und wenn ich die 70 gefahren wäre, wären es jetzt nur noch 10 km. Aber nun kommt alles noch schlimmer. Es setzt heftiger Regen ein. Auf dem höchsten Punkt der Strecke dann sogar Hagelschauer. Keine Weste, keine Armlinge, mir ist kalt wie die Sau und im Trikot regnet mein neues iPhone 6 nass! Und jetzt noch in die lange Abfahrt. Ich mag auch nichts mehr essen und trinken und Gels gehen auch nicht mehr rein, alles ekelig. Was mache ich eigentlich hier? Was ist das für ein blödes Hobby, wo man durch knietiefen Schlamm fährt, mehrere Flüsse zu Fuß durchqueren muss, dass die Schuhe nass sind und dann bei 0° pitschnass die Abfahrt runter fahren muss? Auf den Abfahrten habe ich auch immer noch irgendwelche Honks vor mir, die mit dem Matsch nicht klar kommen und mir den Weg versperren. Das Agro-Barometer ist auf Hochstimmung! Ich muss unbedingt wenn ich im Ziel bin meiner Freundin Bianca simsen, dass ich AUF KEINEN FALL mit ihr am Montag biken werde. Überhaupt ist ungewiss, ob ich mich jemals wieder auf ein Bike setze.
Leider habe ich keine Orientierung darüber, dass ich mich eigentlich die ganze Zeit an dritter Stelle bewege und nur 6 Minuten hinter der Spitze bin, sonst hätte ich mich sicherlich noch besser motivieren können, aber so ist erst mal alles doof. Ich lasse irgendwann die Frau mit den vielen Konsonanten im Namen ziehen. Und dann, irgendwann, platzt der Knoten wieder und ich versuche doch noch mein Bestes zu geben. Bei einer erneuten Flussdurchquerung bremst mein Vordermann so lange vor dem Ufer ab, das jeglicher Schwung verloren ist und ich auch absteigen muss. Hüfttief waten wir durch den Fluss. Ich nutze zumindest die Gelegenheit um Unterwasser einmal die Kurbel zu drehen, denn mein Antrieb funktioniert schon lange nicht mehr richtig. Auf die beiden großen Gänge komme ich schon gar nicht mehr und alles knarzt. Das Quietschen, das ich immer wieder vernehme zwischendurch entpuppt sich als das völlig durchtränkte Sitzpolster meiner Hose.
Und dann, wiederum irgendwann, ist es da…. das Ziel. Ich erreiche dies als 1. Frau meiner Altersklasse und – oh Wunder – 3. Frau Overall, nur 6 min hinter Milena Cesnakova, die meines Wissens letztes Jahr die MME-Serie gewonnen hat.
Im Ziel simse ich meiner Freundin Bianca. Auf keinen Fall werde ich am Montag biken und jammern tu ich auch ein bißchen. Sie antwortet: „wie war das noch? Pain for the moment, glory forever“. Genau! Heute geht es auch schon wieder und jetzt freu ich mich auf Willingen…. ;o)
Gesamtklassement 105km:
- Milena Cesnaková (Superior MTB) 5:37:17
- Jana Skrbková (Eleven Team Příchovice) +2:02
- Natascha Binder (GER, r2-bike.com) +6:16
- Ivana Loubková (Eleven Mercedes Mitas) +14:29
- Hana Falcová (Alltraining Lawi) 28:29